3. März 2010: Arbeiten wie die alten Schweden

In der Tageszeitung Der Standard ist folgender Gastkommentar von mir erschienen:

Was uns die Skandinavier insbesondere in Sachen Pensionen, Beschäftigung und Gesundheit voraushaben.

Ich bin gerne ein „Schwede“, wie Karl Heinz Gruber in seinem Gastkommentar vom 25. Februar 2010 feststellt, wenn es um Themen wie Beschäftigung, Frauenprogramme, Gesundheit oder Pensionen geht. In Österreich explodieren die Kosten für Frühpensionen, denn es gibt Unternehmen wie die ÖBB, bei denen das durchschnittliche Pensionsalter bei 52 Jahren liegt. Hier hat Schweden zweifelsohne Vorbildcharakter: Denn dort hat man das Pensionsalter derart gestaltet, dass heute jeder Arbeitnehmer sieht, was er einzahlt – und auch wieder ausbezahlt bekommt.

Jetzt aber der wichtigste Punkt: In Schweden ist die Rate der älteren Arbeitnehmer um ein Vielfaches höher als in Österreich. Während in Schweden in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen noch 70 Prozent der Menschen arbeiten, liegt dieser Wert in Österreich lediglich bei 38 Prozent. Und in einzelnen Bereichen, wie den ÖBB, sind nicht einmal fünf Prozent der 55- bis 64-Jährigen noch berufstätig. Dass dieses System an die Grenzen der Finanzierbarkeit stößt, zeigt sich bei den Ausgaben: Allein für die 72.000 ÖBB-Pensionen bezahlt der Bund 2010 mehr als zwei Milliarden Euro. Dieser Betrag ist in den vergangenen sechs Jahren um 700 Millionen Euro angewachsen und wird weiter ansteigen, wenn die Politik tatenlos zusieht.
Beim Gesundheitssystem bestehen zwei wesentliche Unterschiede zwischen Österreich und Schweden: Während in Österreich bis auf die Rezeptgebühr der Arztbesuch gratis ist, werden in Schweden verschiedene „Users fees“ eingehoben. Das hat zur Folge, dass in Schweden die Kosten für das Gesundheitssystem insgesamt niedriger sind und, dass sich die Menschen der Kosten des Systems viel bewusster sind. Der langjährige sehr erfolgreiche schwedische sozialdemokratische Ministerpräsident Göran Persson hat kürzlich in Wien vor allem diesen Aspekt besonders hervorgehoben.

Und in einem dritten Punkt kann Österreich Schweden als Vorbild nehmen: Die Leistungen, die Schweden in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erbracht hat, um sein Budget zu konsolidieren und wichtige Strukturreformen auf Schiene zu bekommen, sind ebenso eindrucksvoll. In Schweden konnte das Budgetdefizit von zwölf Prozent des BIPs innerhalb weniger Jahre bis ins Jahr 2000 in ein Plus von knapp vier Prozent gedreht werden.
Auch Österreich wird um wichtige Strukturreformen nicht umhinkommen. Um das Budget zu konsolidieren, muss ausgabenseitig massiv gespart werden. Denn unsere Steuereinnahmen gingen von 2008 auf 2010 um 13 Milliarden Euro zurück. Der Druck der Krise verlangt jetzt nachhaltige Reformen.

Karl Heinz Gruber geht in seiner Analyse allerdings zu weit, wenn er meint, dass allein das skandinavische Modell die Lösung aller Probleme sei. Denn Kommentator Gruber verschweigt wichtige Details, die das renommierte deutsche Wochenblatt Die Zeit unlängst in einem Artikel mit dem Titel „Vom Vorbild zum Verlierer“ zusammenfasste. Schwedens Schüler schneiden nämlich seit Jahren bei den Pisa-Mathematik- und Naturwissenschaftstests immer schlechter ab. In der Zeit wurde die Situation wie folgt beschrieben: „Aus der Sicht der Menschen war das Bildungssystem nie besonders gut.“ Und weiter: „Nachdem lange die Vorteile der skandinavischen Pädagogik von der Gesamtschule über die späte Notengebung bis hin zur hervorragenden Individualförderung gepriesen wurden, rücken jetzt mit einem Mal die Unzulänglichkeiten in den Vordergrund, die von skandinavischen Experten zum Teil schon seit Jahren angeprangert wurden.“

Dazu kommt: Schweden kämpft mit sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit, 2009 verzeichnete das Land 24,2 Prozent. Zum Vergleich: Österreich hat europaweit die drittniedrigste Jugendarbeitslosenrate – nicht zuletzt aufgrund des stark differenzierten berufsbildenden Schulangebots und der dualen Ausbildung.

Gruber hat allerdings recht, dass Österreich im Bildungsbereich dringend Reformen braucht. Die Schulwelt ist der Arbeits- und Lebenswelt anzupassen. Das verlangt einen ganztägigen Schulalltag mit einem darauf abgestimmten Lehrerdienstrecht. Es ist mittlerweile beinahe ein Jahr her, dass im Ministerrat der folgende Bericht von Bundesministerin Claudia Schmied zur Kenntnis genommen wurde: „Sofortige Verhandlungen zu einem neuen Dienstrecht für alle neu eintretenden Bundes- und Landeslehrer mit folgenden Eckpunkten: Erhöhung der Lehrverpflichtung, höherer Einstiegsgehälter, flachere Gehaltskurven, mehr Flexibilität.“ Und in der Verwaltungsreformgruppe haben die Experten von Rechnungshof, Wifo und IHS ein solches neues Dienstrecht ebenfalls für unbedingt notwendig erachtet. Hier herrscht akuter Handlungsbedarf. (Reinhold Lopatka, DER STANDARD, Printausgabe, 3.3.2010)

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