Christdemokraten – Leere Worte oder umzusetzende Werte? „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“

Der 11. September 2001 hat auf dramatische Art und Weise deutlich gemacht, was religiös motivierter Terror anrichten kann. Religion und Politik bildeten auch im Abendland durch Jahrhunderte streckenweise eine unheilige Allianz. Die Inquisition, Kreuzzüge, die Unterwerfung, Versklavung und Ausbeutung von Millionen im Namen Gottes geben ein unrühmliches Zeugnis davon. In den westlichen Demokratien hat mittlerweile eine klare Trennung von Kirche und Staat offenen Gesellschaften zum Durchbruch verholfen. Der islamistische Fundamentalismus mit seinem Hang zur Gottesstaatlichkeit hingegen verwischt die Grenze zwischen Religion und Politik nicht nur, sondern will sie eigentlich aufheben. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Während diese Aussage von Jesus, die die Trennung von kirchlichen und staatlichen Angelegenheiten anspricht, in christlichen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, machen in islamischen Staaten Geistliche (Mullahs) Politik.

Die christdemokratischen Parteien Europas beziehen sich zwar in ihren Grundsätzen auf ein christlich begründetes Verständnis von der Würde des Menschen als Grundlage politischen Handelns, sie beziehen aber keine Aufträge von den Amtskirchen. Die katholische Kirche hat im Zweiten Vatikanischen Konzil die Anerkennung der Religionsfreiheit festgehalten und somit auch die liberale Errungenschaft von Glaubens- und Gewissensfreiheit in unseren Rechtsordnungen, die uns deutlich von der Mehrheit islamischer Staaten unterscheidet. Im Juli 1999 wurde erstmals die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christliche Demokraten) und Europäischer Demokraten (EVP-ED-Fraktion) mit 233 Abgeordneten von 626 Sitzen zur stärksten politischen Kraft im Europäischen Parlament. Wie gefährdet jedoch christliche Grundwerte, wie Frieden und Freiheit, Partnerschaft und Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität sind, zeigen nicht nur die Ziele fanatischer Muslime, sondern auch einzelne politische Entscheidungen, die von Christdemokraten mitgetragen werden. Die immer stärkere Ausblendung der Not und des Elends der Dritten Welt aus dem politischen Alltag, ausländerfeindliche Tendenzen bei uns im Land und neoliberale Politikmodelle ohne sozialstaatliche Komponenten sind Herausforderungen für Christdemokraten, denen sie nicht immer gerecht werden. Bislang geben sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten bei der Lösung globaler Fragen ein eher klägliches Bild ab. Zu europazentriert, zu ökonomielastig wird Politik gemacht, womit die weltumspannende christdemokratische Verantwortung auf der Strecke bleibt.

„Wir sind Christdemokraten!“

Denn im 1995 beschlossenen Parteiprogramm deklamierte die ÖVP deutlicher als im vorherigen „Salzburger Programm“ (1972): „Wir sind Christdemokraten!“. Damit folgte sie ihrer deutschen Schwesterpartei CDU, die in ihrem Programm an die Spitze des 1. Kapitels „Wir christliche Demokraten“ in den Punkten 1 und 2 klar festgehalten hat:

„1. Die Christlich Demokratische Union Deutschlands ist eine Volkspartei. Sie wendet sich an alle Menschen in allen Schichten und Gruppen unseres Landes. Unsere Politik beruht auf dem christlichen Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Für uns ist der Mensch Geschöpf Gottes und nicht das letzte Maß aller Dinge. Wir wissen um die Fehlbarkeit des Menschen und die Grenzen politischen Handelns. Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass der Mensch zur ethisch verantwortlichen Gestaltung der Welt berufen und befähigt ist.

2. Wir wissen, dass sich aus christlichem Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt. Aber das christliche Verständnis vom Menschen gibt uns eine ethische Grundlage für verantwortliche Politik. Aus der Berufung auf christliche Überzeugungen folgt für uns nicht der Anspruch, nur innerhalb der Christlich Demokratischen Union sei Politik aus christlicher Verantwortung gestaltbar. Die CDU ist für jeden offen, der die Würde und Freiheit aller Menschen und die daraus abgeleiteten Grundüberzeugungen unserer Politik bejaht. Dies ist die Grundlage für das gemeinsame Handeln von Christen und Nichtchristen in der CDU.“

Eine ähnliche Festlegung zum „C“ leitet nun auch das Grundsatzprogramm der ÖVP ein: „Wir begründen unsere gesellschaftspolitischen Grundsätze aus dem christlichen Bekenntnis zur Würde des Menschen. Unser politisches Handeln richtet sich am Einzelnen und dessen Einbindung in die Gemeinschaft aus. Wir folgen dabei den Prinzipien der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Toleranz. Wir arbeiten für den Frieden und die Erhaltung der Schöpfung. Wir sind offen für Christen und alle, die sich aus anderen Gründen zu diesen Werten bekennen. Wir binden uns an keine Konfession oder kirchliche Institution.“

Welche Bedeutung hat eine solche Positionierung für die tagtägliche Politik? Wie viele Abgeordnete sehen sich als Christdemokraten in der Politik? Geben die Kirchen Politikern noch Rückhalt für christdemokratische Politik?

Fragen, über die es sich nachzudenken lohnt, denn schließlich sehen sich noch immer 19 der 27 Abgeordneten der Steirischen Volkspartei als christliche Politiker, was eine Umfrage im Oktober 2001 unter allen Mandataren ergeben hat, während liberale und konservative Abgeordnete nur knapp ein Drittel der Abgeordnetenriege bilden . Der langjährige CDU-Generalsekretär, Heiner Geißler, hat in seinem Buch „Wo ist Gott? – Gespräche mit der nächsten Generation“ versucht, eine Antwort auf die Frage des „C“ im Namen der CDU zu geben: „Ich bin dafür, dass es beim C im Namen dieser Partei bleibt. Dieser Stachel muss drinbleiben und der damit verbundene Anspruch, auch wenn er oft nicht erfüllt wird. Die Messlatte liegt hoch, und sie wird oft gerissen. Aber wenn der Anspruch nicht bliebe, gäbe es auch keine Anstrengung mehr, dem Anspruch gerecht zu werden. Es ist wie im Gebirge. Der Mont Blanc ist mit 4800 Meter der höchste Berg der Alpen. Er leuchtet mit seiner weißen Kuppel in die Täler von Chamonix und Aosta. Viele kommen auf 3000 Meter, auch auf 4000 Meter. Nicht wenige erreichen auch den Gipfel. Manche wiederum stürzen ab. Aber niemand käme auf die Idee, deshalb den Berg in die Luft zu sprengen. Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben doch klar gemacht, dass es moderne Politik nicht geben kann, wenn nicht die mit ihr zusammenhängenden ethischen Fragen beantwortet werden. Dies ist ein wichtiger Grund, warum die CDU bei ihrem C bleiben muss, unabhängig davon, ob sie die Sprunglatte reißt oder ob es in Hamburg 45 oder 75 Prozent Christen gibt, auch unabhängig davon, wie viele Leute sonntags in die Kirche gehen.“

Diese Festlegung hat mehrfach ihre Berechtigung. Einerseits muss gerade Christdemokraten bewusst sein, dass Politik von Menschen gemacht wird und daher nicht zur letzten Vollendung gebracht werden kann, denn diese ist nicht von dieser Welt. Andererseits ist die Politik durch die Möglichkeiten der Bio- und Gentechnologie, durch die moderne Fortpflanzungsmedizin aber auch in der Frage der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Lebensfragen massiv gefordert, Wertentscheidungen zu treffen.

Lange bevor wissenschaftliche, technische und natürlich auch ökonomische Fragen zu beantworten sind, geht es bei diesen „Lebensfragen“ um ethische Fragen. Eine christdemokratische Politik, die die Würde des Menschen als unantastbar und nicht relativierbar sieht, hat hier auch den Mut zu klaren Grenzziehungen aufzubringen. Der Landtagsklub der Steirischen Volkspartei setzt sich daher in Arbeitsgruppen und Diskussionen mit Experten mit diesen Grundsatzthemen auseinander, um „Standpunkte“ zu diesen Lebensfragen zu erarbeiten.

Kraft der Amtskirchen schwindet

Im Gegensatz zur Fristenlösungsdebatte, die stark von den Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche getragen wurde, hat mittlerweile die gesellschaftspolitische Kraft der Kirchen enorm abgenommen. Zu stark war die Amtskirche, insbesonders in den letzten 10 Jahren mit innerkirchlicher Nabelschau beschäftigt, als dass sie dieser Diskussion eine Richtschnur vorgeben hätte können. Und wenn kirchliche Festlegungen erfolgten, dann waren sie oftmals völlig losgelöst von der tatsächlichen Lebenswelt auch einer riesengroßen Mehrheit der Katholiken. Man denke nur an die Frage der Empfängnisverhütung. Trotzdem ist festzuhalten, dass der Kirche nach wie vor eine wichtige Rolle in sozialen Fragen zukommt. Ihre Leistungen mit Hilfe der Caritas im Vor- und Aufzeigen von Solidarität bei uns im Land und im weltweiten Kampf gegen Not und Elend dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden.

Christdemokratische Positionen sollten immer weltoffen und sozial verträglich, keinesfalls technik- und fortschrittsfeindlich sein. Fortschritt ist jedoch nicht alles, was technologisch möglich ist. Die Österreicher und hier insbesondere die ÖVP leisteten seinerzeit massiven Widerstand gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf. Heute wollen Industriestaaten aus dieser Hochtechnologie aussteigen, da die Gefahren (Super-GAU, Atommülllagerung) höher bewertet werden als der kurzfristige wirtschaftliche Vorteil (billiger Strom). Christdemokratisches Denken sollte von Nachhaltigkeit ebenso geprägt sein wie von einer großen Achtung vor der Schöpfung. Die unüberlegte Ausbeutung und Gefährdung von Natur und Umwelt stehen im Gegensatz zu christdemokratischen Wertvorstellungen.

„Würde des Menschen achten“

Die unbegrenzte Nutzung aller Möglichkeiten der Bio- und Gentechnik ist ebenso krass im Widerspruch zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Die Erzeugung von Embryonen (Leben), um diese gesunden Winzlinge für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen sterben zu lassen, geht zweifelsohne einen Schritt zu weit. Strebt man gar als neues Ziel den perfekten Menschen an, sagt man ja zu dieser „schönen neuen Welt“, dann wird es frostig in unserer Gesellschaft. Die Gefahr, dass sich das öffentliche Bewusstsein in diese Richtung entwickelt, steigt. Der große Astrophysiker Stephen Hawking hat jüngst auf einer Konferenz in Bombay wieder gewarnt, künftig mittels Gentechnologie intelligentere „neue Menschen erschaffen“ zu wollen. Ein Leben ohne Schmerzen und Leiden, ohne Behinderungen, das klingt doch verheißungsvoll. Medizinische Forschung darf jedoch nicht zu Lasten der schwächsten Lebewesen gehen. Denn jeder menschliche Embryo hat auch das Recht auf Schutz und darf nicht einer postmodernen Beliebigkeit zum Opfer fallen, will man, dass christdemokratisch mehr als ein leeres Wort, sondern ein umzusetzender Wert ist.

Das gilt auch für einen besonderen Schutz und eine gezielte Förderung für die Familie, deren Niedergang als soziale Institution nicht geleugnet werden kann. Francis Fukuyama sieht in seinem Buch „Der große Aufbruch“ als eine Hauptgefahr für unsere modernen Demokratien am Beginn des Informationszeitalters den „exzessiven Individualismus“. Gegen diese Fehlentwicklung könnten nach wie vor Familien am meisten beitragen, „da Väter und Mütter zusammenarbeiten müssen, um Kinder in die Welt zu setzen, zu sozialisieren und zu erziehen.“ … „Die Familie spielt sowohl als Quelle wie bei der Weitergabe von Sozialkapital eine wichtige Rolle. Ohne Sozialkapital kann es keine Zivilgesellschaft geben und ohne Zivilgesellschaft keine funktionsfähige Demokratie“, folgert Fukuyama. Christdemokraten dürfen sich nicht beirren lassen, einer modernen Familienpolitik oberste Priorität einzuräumen. Das heißt jedoch nicht, dass andere Formen des Zusammenlebens – ob hetero- oder homosexuelle – diskriminiert werden sollen. Es heißt jedoch sehr wohl, dass Sonderregelungen für Familien mit Kindern gerechtfertigt sind!

Das Schwinden familiärer Bindungen und somit die Einsamkeit und die Angst vor Schmerzen sind auch Hauptmotive jener 55 Prozent der steirischen Senioren, die sich für aktive Sterbehilfe aussprechen.

Wenn es um das Ende des Lebens geht, stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob wir all unser Denken und Tun darauf richten sollen, um wirkungsvoll gegen die Einsamkeit alter Menschen konkrete Schritte zu ergreifen und die Schmerztherapie und Palliativmedizin in den Mittelpunkt unserer Überlegungen zu rücken oder ob wir auch die aktive Sterbehilfe brauchen. „Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet“, wie es jüngst ein Arzt formuliert hat. Die Selbstbestimmung des Menschen, auf die sich Liberale und Grüne berufen, kann ihn so zumindest moralisch erpressbar machen und ist daher auch aus diesen Erwägungen heraus abzulehnen.

Dass es Missbrauch und Fehlentwicklungen gibt, belegen Beispiele aus den Niederlanden, wo eine staatlich geförderte wissenschaftliche Studie belegt, dass in der Erprobungsphase des Gesetzes zur aktiven Sterbehilfe jährlich in 1000 Fällen „lebensbeendende Handlungen ohne ausdrücklichen Wunsch“ des Getöteten vorgenommen worden sind.

Ob am Beginn des Lebens oder am Ende, es geht um Wertfragen, es geht darum, was wir denken und daher wollen. Karl Popper hat es treffend festgehalten: „Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab, von uns allen. Sie hängt davon ab, was wir und viele andere Menschen tun und tun werden, heute und morgen und übermorgen. Und was wir tun und tun werden, das hängt wiederum von unserem Denken ab und von unseren Wünschen, unseren Hoffnungen, unseren Befürchtungen. Das hängt davon ab, wie wir die Welt sehen, und wie wir die weit offenen Möglichkeiten der Zukunft beurteilen.“

So wird sich zeigen, ob im 3. Jahrtausend das Christentum nur mehr als Versatzstück fungiert oder nach mehr als 2000 Jahren noch immer lebendige Wirklichkeit ist, die auch in der Politik ihre Spuren hinterlässt. Christdemokratische Politik kann niemals eine vom Kapital und „shareholder-value“ bestimmte Politik sein, sie hat auf die Schwachen unserer Gesellschaft Rücksicht zu nehmen, da die Achtung der Würde jedes Menschen das Handeln christdemokratischer Politiker leiten muss.

Wenn engagierte junge Christen bereit sind, nicht nur in kirchlichen Kreisen mitzutun, sondern auch den Schritt in die raue Welt der Politik wagen, hat das „C“ eine Chance, mehr als eine leere Worthülse in der Politik des neuen Jahrhunderts zu sein.

Streben nach Gerechtigkeit

Auszug aus dem Buch…Steiermark 2050: „Viele Senioren – wenige Kinder – Der Sozialstaat auf einem neuen Prüfstand“

Die soziale Stabilität unseres Landes steht in den nächsten Jahrzehnten auf einem neuen Prüfstand. War es bisher die Kluft zwischen Arm und Reich oder zwischen Arbeitsplatzbesitzern und denen, die keine Arbeit haben, womit soziale Ungerechtigkeiten für politischen Sprengstoff gesorgt haben, kommt nun ein neues Phänomen hinzu. Sozial ungerecht ist es nämlich auch, wenn der jüngeren Generation von den Senioren zuviel abverlangt werden sollte. Was werden unsere Enkelkinder sagen, wenn sie einem Heer von Alten gegenüberstehen, das sich die Aufrechterhaltung des sozialen Sicherungssystems erwartet, für das es aber immer weniger Zahler und immer mehr Anspruchswerber geben wird. Sowohl enorme Beitragssteigerungen als auch gravierende Leistungseinschränkungen wird niemand ernsthaft ins Auge fassen wollen. Ein dritter Weg ist zu finden.

Die zentrale Herausforderung unseres Sozialstaates im Jahr 2050 wird es daher sein, wie wir die soziale Sicherheit der 70-, 80-, 90- und 100-Jährigen gewährleisten, von denen immer mehr keine Kinder oder Geschwister haben werden, die sich für sie verantwortlich fühlen. Es darf dadurch keinesfalls ein Klima aufkommen, dass „sozialverträgliches Frühableben“– wie es der deutsche Ärztekammerpräsident drastisch formuliert hat – in die politische Diskussion Eingang findet. Es gilt, viele Leistungen zu organisieren, die in der Vergangenheit die Familien erbracht haben. Einerseits sind neue Netzwerke zu knüpfen und andererseits sind aber auch die Grenzen der Möglichkeiten staatlicher Sozialleistungen klar aufzuzeigen. So wichtig und begrüßenswert alle Initiativen zur Stärkung der Familien sind, so wenig werden sie das Rad der Zeit zurückdrehen können. Das alte Modell der Großfamilie mit mehreren Generationen in einem Haus hat längst ausgedient, das der Kleinfamilie mit mehreren Kindern ist ebenso im Begriff eher der Ausnahme- als der Regelfall zu werden.

In der Steiermark sind diese Entwicklungen stärker ausgeprägt, als in den anderen Bundesländern; wir haben weniger Geburten als in Restösterreich und einen größeren Anteil an über 60-jährigen Steirern und vor allem Steirerinnen.

Bereits heute leben bei uns 262.000 Sechzigjährige und 43.000 Achtzigjährige. Die Anzahl der steirischen Mitbürger im Alter von 60 Jahren ist seit 1961 um ein Viertel gestiegen, die Anzahl der Mitbürger im Alter von 80 Jahren hat sich seit 1971 fast verdoppelt, die Zahl der über Neunzigjährigen macht bereits das Fünffache der Zahl von 1961 aus. Dabei darf man auch die stark steigende Lebenserwartung der Menschen in den Industriestaaten nicht vergessen. Ein im Jahr 2000 in Österreich geborenes Kind hat durchschnittlich 77,2 Lebensjahre zu erwarten. Ein Baby, das hier im Jahr 2050 auf die Welt kommt, wird sich nach aktuellen Berechnungen auf 83,1 Jahre freuen dürfen.

Im Jahr 2050 wird die steirische Bevölkerung also um 10 Jahre älter sein als heute und durchschnittlich bei bereits mehr als 49 Jahren liegen. Der Anteil der über 60-Jährigen wird mit 400.000 Menschen auf 39 Prozent der Gesamtbevölkerung klettern. Diese Altersgruppe ist trotz der sinkenden Geburtenzahlen in den nächsten Jahrzehnten die Einzige, die absolut mit Zuwächsen rechnen kann und sie ist jene, die den überwältigenden Teil der Gesundheits- und Sozialdienste benötigt.

Die stark rückläufigen Geburtenzahlen verschärfen die Situation beträchtlich. Hatten wir 1960 in der Steiermark noch 21.729 Geburten, war es im Jahr 2000 nicht einmal mehr die Hälfte mit 10.675 Geburten. Die Fruchtbarkeitsrate der Frauen – wie es Amtsdeutsch heißt – sank im gleichen Zeitraum von 2,98 auf 1,26 Kinder.

Dass die Politik auf allen Ebenen – von den Gemeindestuben bis zum Europaparlament – hier massiven Handlungsbedarf hat, wird vielerorts zu wenig beachtet. Landeshauptmann Waltraud Klasnic hat mit ihrer großen Initiative „Kind(er)leben“ den richtigen Weg eingeschlagen. Mit einem breitgestreuten Bündel von Maßnahmen will sie Impulse für eine kinder- und familienfreundliche Steiermark setzen. Gezielt sollen in allen Ressorts des Landes Überlegungen angestellt werden, um die rasante Talfahrt bei den Geburten zu stoppen. Erstmalig soll bei allen Gesetzen und Beschlüssen des Landtages und der Landesregierung auch eine „Kinder- und Familienverträglichkeitsprüfung“ eingeführt werden. Große Gelehrte wie der Politologe Francis Fukuyama teilen die Analyse der steirischen Landeschefin.

Fukuyama sieht in seinem Buch „Der große Aufbruch“ als Hauptgefahr für unsere modernen Demokratien am Beginn des Informationszeitalters den „exzessiven Individualismus“. Gegen diese Fehlentwicklung könnten Familien am meisten beitragen, „da Väter und Mütter zusammenarbeiten müssen, um Kinder in die Welt zu setzen, zu sozialisieren und zu erziehen. …. Die Familie spielt sowohl als Quelle wie bei der Weitergabe von Sozialkapital eine wichtige Rolle. Ohne Sozialkapital kann es keine Zivilgesellschaft geben und ohne Zivilgesellschaft keine funktionsfähige Demokratie“, folgert Fukuyama.

Neben der Herausforderung, wieder mehr junge Frauen und Männer zu einem „Ja zur Familie“ und zu einem „Ja zu Kindern“ zu ermutigen, muss auch die soziale Absicherung der älteren Generation neu organisiert werden, soll niemand mit Sorge dem Tag entgegensehen müssen, an dem er ein Pflegefall wird.

Stationäre Einrichtungen, die schon heute aus den Sozialtöpfen der Gemeinden und des Landes mehr als 1 Milliarde Schilling benötigen, stoßen bereits jetzt an die Grenze der Finanzierbarkeit. Wir brauchen jedoch zigtausend zusätzliche teure Pflegebetten, wenn wir nicht durch gesetzliche Maßnahmen lenkend eingreifen. Daneben muss es gelingen, die Eigenverantwortung wieder stärker in den Blickpunkt der Lebensplanung der Bürger zu rücken.

Die von den Klubobmännern der CSU, Alois Glück, und der ÖVP, Andreas Khol, propagierte aktive Bürgergesellschaft bietet hier eine Chance, diese neue Herausforderung der Sozialpolitik zufriedenstellend lösen zu können.

Warnfried Dettling umschrieb beim Sozialkongress der ÖVP im Oktober 2001 den Begriff der „Bürgergesellschaft“ als „jene sozialen Aktivitäten und jenen sozialen Raum jenseits von Macht und Staat, in den die Menschen freiwillig, aber nicht privat, öffentlich sichtbar und wirksam, aber nicht unter staatlichen Regie und nicht zuletzt ‚not for profit’ tätig sind, aber trotzdem etwas davon haben, sich selbst und die Gesellschaft bereichern, wenn sie sich engagieren“. So will man ein Gleichgewicht zwischen Eigenvorsorge und kollektiv erbrachter Solidarität erreichen.

Professionellen ambulanten Betreuungsdiensten – wie der Hauskrankenpflege und Altenhilfe – ist durch gesetzliche Regelungen der Vorrang vor stationären Einrichtungen einzuräumen. Hier hat die Politik eine bisher verabsäumte Lenkungsaufgabe wahrzunehmen. Ergänzend zu den professionellen Diensten sind im Sinne der Bürgergesellschaft lokale Betreuungs- und Besuchsdienste aufzubauen und „jüngere Alte“ zu motivieren, hier intensiv mitzutun. Nur so können viele Aufgaben bewältigt werden, die bisher Familienverbände wahrgenommen haben. Selbsthilfegruppen, neue soziale Netzwerke, traditionelle Formen der Nachbarschaftshilfe im Zusammenspiel mit großen Trägervereinen wie der Caritas, dem Roten Kreuz, dem Hilfswerk und der Volkshilfe und den großen Seniorenverbänden können es schaffen – familienergänzend oder wo notwendig familienersetzend – im vertrauten Umfeld pflegebedürftiger Senioren eine Struktur aufbauen, die Pfleglinge und hilfsbedürftige Senioren möglichst lange den Wechsel in eine stationäre Einrichtungen und der öffentlichen Hand Millionenbeträge erspart.

Ein kinder- und familienfreundliches Klima im Land, Eigenvorsorgemaßnahmen, neue soziale Netzwerke ehrenamtlicher und professioneller Dienste für die ältere Generation müssen Vorrang vor der Inanspruchnahme gesetzlicher Solidarsysteme und stationärer Einrichtungen haben, wollen wir auch im Jahr 2050 eine menschliche und leistbare Betreuung der Senioren sicherstellen.

LAbg. Dr. Reinhold Lopatka Klubobmann der Steirischen Volkspartei