New York, 6.11.1994

NY_1994_1Der New-York-City-Marathon durch alle 5 Stadtteile, erstmals durchgeführt im Oktober 1976 anlässlich der Festlichkeiten zur 200-Jahr-Feier der USA, wird Anfang November ausgetragen. Der Lauf gilt mit weit über 2 Millionen Zuschauern als das größte Zuschauerereignis im modernen Sport.

Der Lauf wird auf der Verrazano-Narrows-Brücke, der größten Hängebrücke der Welt, im Stadtteil Staten Island gestartet und führt über Brooklyn, Queens nach Manhattan, macht im Norden einen Schlenker in die Bronx und geht dann durch Harlem in den Central Park. Der Lauf ist durchweg flach, seine Schwierigkeitsgrade sind durch die Überquerung der Brücken bestimmt, einen stellenweise sehr schlechten Asphalt und ein welliges Schlussstück im Central Park.

Der New Yorker Marathon ist, sei es ob seiner Teilnehmer im Rennen, sei es ob seiner Zuschauer draußen auf den Straßen, der internationalste der Welt.

Ein Ereignis ganz besonderer Art ist schon der Breakfast-Run am Samstagmorgen um 8 Uhr. Schon dieser Lauf allein verströmt eine Atmosphäre , wie man sie bei sonst keinem Rennen findet. Seitlich des UNO-Gebäudes versammeln sich die ausländischen Läufer hinter ihren Landesflaggen.

Anschließend laufen tausende ausländische Starter im gemütlichen Trab über die 42te Straße und die 6. Avenue quer durch Manhattan zum Südende des Central Parks. Der Lauf über fünf Meilen endet in dem riesigen Parkrestaurant „Tavern on the Green“, wo ein Frühstück vorbereitet ist. Für diesen Lauf muss man eine eigene Startnummer tragen, die zum Eintritt ins Restaurant bzw. die danebenliegenden großen Zelte berechtigt. Nach dem Frühstück gibt es für jeden ein T-Shirt, das meist zu groß ist. In kameradschaftlicher Stimmung begegnen sich hier Volksläufer aus aller Welt und eingeladene Spitzenläufer.

Am Tag des Rennens heißt es früh aufstehen. Die Startnummer ist gleichzeitig das Ticket für eine organisierte Busfahrt zum Militärcamp Fort Wadworth in Staten Island. Die letzten Busse fahren kurz vor acht Uhr. Auf dem Fort stehen Zelte, die Turnhalle ist nur für Spitzenläufer reserviert. Mit großer Gelassenheit warten die amerikanischen Läufer hier auf den Start. Eine Spezialität ist es, alte Trainingsanzüge mitzunehmen und diese dann kurz vor oder nach dem Start wegzuwerfen. Da es an diesen Herbstmorgen trotz „Indian Summer“, dem Gegenstück zu unserem Altweibersommer, oft empfindlich kühl ist, kann auch ein Müllsack, in dem man eine Öffnung für den Kopf ausgeschnitten hat, eine wichtige Hilfe sein.

Ehe ich mich ins Gewühl stürze und versuche, die Pforte zwischen den Drahtzäunen in Richtung „Verrazano“ zu erreichen, läuft noch einmal ein Bild vor meinem Auge ab. Gestern Abend auf dem Empire State Building mit dem prächtigen Rundblick auf ganz New York konnte ich kurz vor Sonnenuntergang mit dem Auge die ganze Strecke erfassen, denn die Sicht war, wie es eine Leuchtschrift verhieß, „unlimited“. Ganz im Süden, weit weg noch von der aus dieser Sicht eher mickrig wirkenden Freiheitsstatue, liegt die riesige Verrazano-Narrows-Brücke, über die wir hineinlaufen nach Brooklyn, dort links abbiegen und dann ins Zentrum von Brooklyn vorstoßen, in einem Bogen um Süd-Manhattan herumlaufen, ehe wir nach der Halbzeit kurz das feine Queens berühren. Die Queensboro-Brücke bildet dann das horizontale Gegengewicht zu den Wolkenkratzern. Das nördliche Manhattan ist auf der First Avenue erreicht, doch es geht weiter nach Norden und wieder östlich in die Bronx und zurück zum langen Schlussstück durch Harlem und den Central-Park. Unscheinbar im Schatten schon liegen die Bronx von der Höhe aus, doch die kleinen Eisenbrücken raus und rein über den Hudson und die schlechten Straßen dort sind für viele Läufer der Knackpunkt des Rennens – km 32-35, ausgerechnet da, wo die Kohlehydratreserven des Körpers aufgebraucht sind, man die berühmte Mauer durchdringt, kommt man ins unsympathischste Viertel von New York, dort, wo sich auch die wenigsten Leute dafür interessieren, sich als Zuschauer am Straßenrand einzureihen.

29.628 Läufer, die den 25. New York Marathon beenden, sind ein stolzes Teilnehmerfeld. Nach dem Lauf treffe ich bei der Siegerehrung die Siegerin bei den Frauen, Tecla Loroupe (Kenia).

Fazit: Sehr empfehlenswert, TOP-Stimmung.

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Mit der nachmaligen Weltrekordhalterin Tecia Loroupe (2:20:43) bei der Siegerehrung des New York Marathons